Predigt für den Palmsonntag
5. April 2020
Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Hl. Geistes. Amen
In Christus geliebte Gläubige,
Heute stehen wir am Anfang der Karwoche, der Großen Woche, der Tage des Leidens und Sterbens Unseres Herrn.
In der Vesper heißt es in der Magnifikatantiphon:
Ich will den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden”
(Mt 26,31; Zach 13.7)
Das auserwählte Volk der Hebräer hat seinen göttlichen Hirten nicht erkannt, es ist ihm nicht gefolgt. Jetzt wird der Gute Hirte hingehen, um sein Leben aufzuopfern für jene, welche ihm folgen werden, um sie von den Banden des Todes loszukaufen.
Das Verhalten und das Schicksal des auserwählten Volkes des Alten Bundes soll uns eine Warnung sein. Wir sollen Christus als unserem Hirten und König anhangen. Viele wollen mit ihm herrschen – doch ohne mit ihm leiden zu wollen. Dies aber ist unmöglich, da der Diener nicht größer ist als sein Herr. Wenn der Sohn Gottes kein besseres und vollkommeneres Mittel gefunden hat, um uns zu erlösen, als durch das Kreuz, dann können wir kein besseres oder vollkommeneres Mittel fordern oder erfinden.
Genau das aber versucht der Mensch immer wieder. In der Neuzeit ist dies zum Verhaltensmuster geworden – zuerst für Einzelne, dann immer mehr auch für die menschliche Gesellschaft. Sie haben sich von der Kirche, von Christus und von Gott losgesagt! Die Strafe für einen solch erbärmlichen Frevel muß auf den Fuß folgen.
Nun stehen wir am Endpunkt dieser Entwicklung. Gott überläßt gewissermaßen die Menschen sich selber. Nachdem die Menschen zu Gottesfeinden und Gotteshassern geworden sind, hassen sie sich nun selber. Der Einzelne ist sich selber zum Feind geworden, nachdem er seine wahre Würde in den Schmutz geworfen hat: Die wahre Menschenwürde besteht nämlich allein darin, daß der Mensch Gott dient und so seine Seele rettet. Die menschliche Gesellschaft ist sich selber feindlich geworden, weil ohne die Anerkennung der gottgegebenen Würde des Individuums keine Gesellschaft richtig und dauerhaft bestehen kann. Rußland hat tatsächlich seine Irrtümer des Kollektivismus und des Sozialismus über die ganze Welt ausgebreitet, wie die Muttergottes es vorhergesagt hat in Fatima.
Was dem Menschen nun noch bleibt, ist sage und schreibe das Internet, dieses weltweite teuflische Gespinst. Es wird nur zum geringsten Teil für Gutes verwendet, im Wesentlichen dient es der Verdummung und Versumpfung des Menschen und der Gesellschaft. Der Feind der menschlichen Natur, Luzifer, lacht sich ins Fäustchen und zeigt dem heutigen Menschen, wohin er damit gekommen ist, daß er ihm und seinen Vorspiegelungen und Verführungen geglaubt hat. Immer mehr haben die Menschen in diesen letzten Jahren sich einer Scheinwelt überlassen, das bedeutendste Phänomen davon ist Facebook – Gesichterbuch. Ein jeder kann sich wirklich oder erfundener Weise vor der ganzen Welt darstellen und produzieren. Jetzt läßt Luzifer sozusagen die Maske fallen, und der Mensch muß sie sich aufsetzen! Plötzlich darf der Mensch kein Gesicht mehr haben – und es geschieht ihm recht, denn schon lange hat er keinen Charakter mehr gezeigt. Wie sich der Teufel nie anders gezeigt hat als mit einer schrecklichen Fratze, so ist es nun unserer Zeit vorbehalten, uns das Gesicht, den eigentlichsten körperlichen Ausdruck unserer Gottähnlichkeit, zu verbergen und zu entstellen. Setzt man noch die nunmehr streng geforderte „soziale Distanzierung“ drauf – ein Widerspruch in sich selber, denn „sozial“ kommt von „sociare – vereinigen“ – dann ist die Urheberschaft dieser Abschaffung der Rechte und des Sinns des menschlichen Individuums und der menschlichen Gesellschaft eindeutig. Der gefallene Lichtträger oder Morgenstern, Luzifer, kann seine Handschrift bei dieser Inszenierung nicht leugnen!
Im großen Jubelgesang der Ostervigil, dem Exsultet, bei dem die Osterkerze geweiht wird, besingt die Kirche den wahren Lichtträger, lucifer, Christus, der die Nacht der Sünde und des Todes überwunden hat:
Flammas eius lucifer matutinus inveniat. Ille, inquam, lucifer, qui nescit occasum. – Der aufgehende Morgenstern schaue noch ihre Flamme; jener Morgenstern, der keinen Untergang kennt.“
Unmittelbar danach betet die Kirche übrigens für Papst und Kaiser, für Thron und Altar, welche uns nunmehr seit über 100 bzw. über 50 Jahren genommen sind. Welche Stütze bleibt uns also? Nur Christus und die von ihm gegründete Kirche, die sich aber schon seit Jahrzehnten im Zustande des Todesleidens befindet.
Der hl. Paulus spricht ebenfalls oft vom Licht Gottes, so etwa im 4. Kapitel des 2. Korintherbriefes (V. 6):
Denn der Gott, der befahl, daß aus der Finsternis Licht aufstrahle, ließ auch in unseren Herzen ein Licht erstrahlen, daß es leuchte zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes auf dem Antlitz Christi.“
Die größte Heilige der Neuzeit, die hl. Theresia von Lisieux, hatte als Ordensnamen „vom Kinde Jesu und vom hl. Antlitz“! Die Andacht zum hl. Antlitz Christi ist so alt wie die Christenheit. Die hl. Veronika, die bei der sechsten Kreuzwegstation dem entstellten Christus ihren Schleier reicht, damit er sein Gesicht abwische, entdeckt gemäß der Legende, als sie nach Hause zurückgekehrt in Ohnmacht fällt, bei ihrem Erwachen, daß der leidende Gottesknecht den Abdruck seines Antlitzes auf dem Tuch zurückgelassen hat. Und bei seiner Auferstehung hinterläßt uns Christus ebenfalls, in noch geheimnisvollerer Weise – als Negativabdruck – das Abbild seines gemarterten Leibes zusammen mit dem des hl. Antlitzes auf dem Leichentuch, das seit dem 16. Jh. in Turin aufbewahrt wird. Als man es aus dem Verkehr ziehen wollte – zweifellos wegen des beständigen Ansturms der Rationalisten – und es vorher fotografiert wurde, da entdeckte man auf dem Fotonegativ das schier Unglaubliche. Das Turiner Grabtuch ist seither zum meist untersuchten und studierten Einzelobjekt der gesamten Wissenschaft geworden. Weit über eine halbe Million Stunden haben qualifizierte Wissenschaftler damit verbracht, stets neue Erkenntnisse über das Tuch, das Bild und den abgebildeten Heiland ans Tageslicht zu fördern. – Und doch haben die Alten weit inniger geglaubt, ohne zu sehen, was wir sehen können, wenn wir nur wollen…
Die Matutin und Laudes der Kartage nennt die Liturgie „tenebrae – Finsternis“. Christus hat immer wieder den Gegensatz zwischen dem Licht und der Finsternis, dem Tag und der Nacht, in der niemand mehr wirken kann, betont (vgl. Joh 9,4). Als Judas den Abendmahlssaal verläßt, erwähnt der hl. Johannes ausdrücklich, daß es Nacht war – „erat autem nox“ (Joh 13,30).
Lassen wir uns nicht hinters Licht führen! Viele vor allem konservative und traditionalistische Katholiken, die nur wenig Glaubensbildung und -wissen haben, ziehen falsche Parallelen oder Schlüsse aus dem Vergleich des Lebens Christi mit dem Leben der Kirche. Christus hatte vorhergesagt, daß er sterben und wieder auferstehen würde. Er hat aber auch seiner Kirche verheißen, daß sie nicht untergehen oder „sterben“ würde, sondern daß sie mit seinem Beistand bis ans Ende der Tage besteht. Jede Rede von einer „toten“ Kirche oder von einer künftigen, neu erstehenden Kirche, einer Kirche des Hl. Geistes, welche die Kirche Jesu Christi ablöst, ist deshalb grober Unfug. Es ist nur eine Neuauflage uralter falscher Ideen: Joachim von Fiore, Millenarismus, Geistkirche.
Halten wir es in dieser Karwoche – wie überhaupt im christlichen Leben – mit den Heiligen. So etwa sagt die hl. Theresia von Avila:
Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles vergeht, Gott ändert sich nicht. Wer Gott hat, dem fehlt nichts. Gott allein genügt“
Auch wenn Er sich zeitweilig schlafend stellt, so soll dies unseren Glauben nicht wanken lassen. Wer mit Christus ausharrt im Leiden, ähnlich wie die Schmerzhafte Muttergottes, wird unfehlbar sicher an seinem Triumph teilhaben.